Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 24.07.2007
Aktenzeichen: 13 B 950/07
Rechtsgebiete: VwVG NRW, LZG NRW, VwVfG NRW


Vorschriften:

VwVG NRW § 63
LZG NRW § 8
VwVfG NRW § 41
Eine nicht förmlich zugestellte Allgemeinverfügung kann in Nordrhein-Westfalen regelmäßig nicht mit einer wirksamen Zwangsgeldandrohung verbunden werden.
Tatbestand:

Die Antragsgegnerin untersagte mit - nicht individuell zugestellter - Allgemeinverfügung vom 22. 5. 2006 die Werbung für Sportwetten, die nicht von der WestLotto angeboten werden, im Internet auf der Homepage eines Inhaltsanbieters mit Sitz in Nordrhein-Westfalen. Der Sofortvollzug wurde angeordnet und es wurde für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 2000 € angedroht. Mit Verfügung vom 19.7.2006 wurde gegen die Antragstellerin wegen Verstoßes gegen die Allgemeinverfügung ein Zwangsgeld in Höhe von 2000 € festgesetzt und ein weiteres Zwangsgeld angedroht. Der hiergegen gerichtete Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hatte Erfolg, die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin wurde zurückgewiesen.

Gründe:

Das VG ist davon ausgegangen, dass die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldfestsetzung bzw. der wiederholten Zwangsgeldandrohung vom 19.7.2006 davon abhänge, ob die Zwangsgeldandrohung vom 22.5.2006 zugestellt worden sei. Es ist weiter davon ausgegangen, dass dies nicht wirksam geschehen sei und dass eine Heilung nicht in Betracht komme. Die gegen letzteres gerichteten Darlegungen der Antragsgegnerin greifen nicht durch.

Gemäß § 63 Abs. 6 Satz 1 VwVG NRW ist die Androhung von Zwangsmitteln - zu denen auch das Zwangsgeld gehört - zuzustellen. Eine Zustellung nach dem Landeszustellungsgesetz NRW - auch eine solche nach § 10 LZG NRW - ist nicht erfolgt. Eine Zustellung kann auch nicht durch eine öffentliche Bekanntmachung "ersetzt" werden.

Engelhardt/App, VwVG/VwZG, 7. Aufl. 2006, § 13 VwVG Rdnr. 9; Rasch, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl. 1982, § 34 ME Rdnr. 14; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 527.

Eine Zustellung war nicht - ausnahmsweise - entbehrlich. Es kann dahinstehen, ob § 63 Abs. 1 Satz 5 VwVG NRW entsprechend auf die Zustellung nach § 63 Abs. 6 Satz 1 VwVG NRW Anwendung findet. Jedenfalls findet § 63 Abs. 1 Satz 5 VwVG NRW keine Anwendung auf das Zwangsmittel des Zwangsgeldes, da mit dem Zwangsgeld auf den Willen der Betroffenen eingewirkt werden soll, eine solche Einwirkung aber eine Androhung voraussetzt.

Vgl. PrOVG, Urteil vom 16.6.1938 - III C 51/38 -, PrOVGE 102, 139; OVG NRW, Bescheid vom 27.1.1953 - II A 1579/52 -, OVGE 7, 27; Engelhardt/App, a.a.O., § 6 VwVG Rdnr. 28; Sadler, VwVG/VwZG, 6. Aufl. 2006, § 6 VwVG Rdnr. 135.

Es kann auch dahinstehen, ob § 63 Abs. 1 Satz 5 VwVG NRW in dem Sinne entsprechend auf die Zustellung nach § 63 Abs. 6 Satz 1 VwVG NRW Anwendung findet, dass in den dort genannten Eilfällen nur die Zustellung entbehrlich ist. Denn ein Eilfall im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 5 2. Alt. VwVG NRW i.V.m. § 55 Abs. 2 VwVG NRW lag nicht vor, da der Verwaltungszwang hier mit bzw. im Zusammenhang mit einem vorausgehenden Verwaltungsakt - der Allgemeinverfügung vom 22.5.2006 - angewendet wurde. Aber auch ein Eilfall im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 5 1. Alt. VwVG NRW war nicht gegeben; die Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 63 Abs. 1 Satz 5 1. Alt. VwVG NRW auf Eilfälle, die dem nach § 63 Abs. 1 Satz 5 2. Alt. VwVG NRW vergleichbar sind, ergibt sich aus der Formulierung "insbesondere".

Für eine Zustellungsfreiheit bei Eilfällen Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht des Bundes und der Länder, 1997, S. 328 f.; dagegen Sadler, a.a.O., Rdnr. 72. Zur Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 63 Abs. 1 Satz 5 1. Alt. VwVG NRW auf vergleichbare Eilfälle Rasch, a.a.O. Rdnr. 3; Drews/Wacke/Vogel/ Martens, a.a.O.

Ein "Eilfall" im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 5 1. Alt. VwVG NRW, der dem nach § 63 Abs. 1 Satz 5 2. Alt. VwVG NRW vergleichbar ist, liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn nicht die Eilbedürftigkeit als solche einer Zustellung entgegen steht, sondern "Umstände", die sich aus einer Anwendung des Landeszustellungsgesetz NRW ergeben. § 63 Abs. 6 Satz 1 VwVG NRW verweist über das Erfordernis der Zustellung ohne Einschränkungen auf das Landeszustellungsgesetz NRW, das Landeszustellungsgesetz NRW enthält eine abschließende Aufzählung der Zustellungsmöglichkeiten. Es ist nicht ersichtlich, dass § 63 Abs. 1 Satz 5 1. Alt. VwVG NRW die detaillierten Vorschriften des LZG NRW verdrängen und so "neue" Zustellungsmöglichkeiten - wie sie etwa für die Bekanntgabe im Rahmen der §§ 41 Abs. 3 Satz 2, 41 Abs. 4 VwVfG NRW geregelt sind - einführen will.

Damit lag hier ein Fall der besonderen Eilbedürftigkeit im obigen Sinne nicht vor. Eine besondere Eilbedürftigkeit im eigentlichen Sinne war nicht gegeben, wie schon die in der Allgemeinverfügung gesetzte Frist zeigt. Vielmehr waren die Umstände, die eine Zustellung erschwerten, die nämlichen, die zugleich zu einer öffentlichen Bekanntgabe der Allgemeinverfügung führten (vgl. §§ 41 Abs. 3 Satz 2, 41 Abs. 4 VwVfG NRW). Eine öffentliche Zustellung aufgrund solcher Umstände sieht das Landeszustellungsgesetz NRW gerade nicht vor. Abgesehen davon spricht nichts dafür, dass ohne den Erlass der Androhung unhaltbare Zustände eingetreten wären: Bereits die Ziffern 1. und 2. der Allgemeinverfügung verpflichteten die Betroffenen zu dem aufgegebenen Handeln. Dass ohne den Erlass von Ziffer 3. weitflächig mit einer - rechtswidrigen - Nichtbefolgung der Allgemeinverfügung zu rechnen gewesen wäre, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Antragsgegnerin konnte vielmehr die Allgemeinverfügung ohne Androhung - ggf. mit einer kürzeren Befolgungsfrist - erlassen und dann - ggf. bei einzelnen Verstößen - die Androhung den Betroffenen zustellen. Insoweit lagen hier Umstände vor, die der "Sollverpflichtung" nach § 63 Abs. 2 Satz 2 VwVG NRW entgegenstanden.

Zur Tragweite der Soll-Verpflichtung nach § 63 Abs. 2 Satz 2 VwVG vgl. Engelhardt/App, a.a.O., Rdnr. 10; Sadler, a.a.O., Rdnr. 33 f.

Eine Heilung der fehlenden Zustellung nach § 8 LZG NRW scheidet aus. Die Vorschrift ist nämlich nur anwendbar, wenn überhaupt eine Zustellung vorliegt. Eine Zustellung liegt hier aber nicht vor, es fehlt insoweit schon am Zustellungswillen (vgl. § 1 Abs. 2 LZG NRW).

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.6.1963 - V C 198.62 -, BVerwGE 16, 165; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 28.8.1987 - 8 S 1345/87 -, NVwZ 1989, 76, und vom 7.11.1997 - 8 S 1170/97 -, VBlBW 1998, 217; Hamb. OVG, Beschluss vom 8.1.1997 - Bs II 183/96 -, NVwZ-RR 1997, 576.

Im Übrigen steht nicht zweifelsfrei fest, dass die Antragstellerin die zugrunde liegende Allgemeinverfügung zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung konkret zur Kenntnis genommen hatte; sie hat - letztlich nicht widerlegbar - vorgetragen, dass sie allein aufgrund der Veranlassung von Unibet Widerspruch eingelegt habe. Damit verbleibende Zweifel an der konkreten Kenntnisnahme gehen zu Lasten der Antragsgegnerin, nachdem sie die vorgeschriebene Zustellung unterlassen hat.

BSG, Urteil vom 22.6.1972 - 12 RJ 234/71 -, SozR Nr. 1 zu § 9 VwZG; Engelhardt/App, a.a.O., § 8 VwZG Rdnr. 4.

Die Antragstellerin kann sich auf die fehlende Zustellung berufen. Zwar ist anerkannt, dass eine mangelhafte Zustellung durch Einlegung der vorgesehenen Rechtsbehelfe, ohne den Mangel zu rügen, geheilt werden kann bzw. dass sich derjenige nicht mehr auf Zustellungsmängel berufen kann, der die gegen den Verwaltungsakt vorgesehenen Rechtsbehelfe eingelegt hat, ohne die Mängel zu rügen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 8.5.1987 - 8 C 11.85 -, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 1.3.1988 - 1 W 51/86 -, NJW 1989, 120, und vom 27.3.1998 - 15 A 3421/94 -, NVwZ-RR 1999, 786.

Insoweit geht es aber allein um Fälle, in denen die Behörde auf die Wirksamkeit der Zustellung vertraut hat bzw. in denen für den Empfänger die Funktion der Zustellung darin bestand, ihm eine Ausfertigung des zuzustellenden Schriftstücks zu überlassen, um zu klären, ob gegen die Verfügung ein Rechtsbehelf eingelegt werden soll; hat der Adressat des Bescheides einen Rechtsbehelf eingelegt, haben sich Mängel nicht zu seinen Lasten ausgewirkt.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 8.7.1958 - V C 51.56 -, DÖV 1958, 715, und vom 8.5.1987 - 8 C 11.85 -, NJW-RR 1987, 1297; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 28.4.1989 - 8 S 3669/88 -, NVwZ-RR 1989, 593.

Hier konnte und durfte die Antragsgegnerin aber nicht auf die Wirksamkeit einer Zustellung vertrauen, da sie von einer solchen bewusst abgesehen hat. Auch dient die Zustellung nach § 63 Abs. 6 Satz 1 VwVG NRW der Androhung nach § 63 VwVG NRW; diese hat Warn- und Erzwingungsfunktion. Die Einlegung des Widerspruchs durch die Antragstellerin zeigt aber nicht, dass sich Mängel im Rahmen der Warn- bzw. Erzwingungsfunktion nicht zu ihren Lasten ausgewirkt haben. Aus der Einlegung eines Widerspruchs kann nicht gefolgert werden, dass der Widerspruchsführer positiv weiß, dass ihm - ungeachtet der Einlegung des Widerspruchs - bei Zuwiderhandlung gegen die Verfügung eine Zwangsgeldfestsetzung droht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.3.1998 - 15 A 3421/94 - NVwZ-RR 1999, 786; Allesch, BayVBl 1991, 653.

Schließlich führt eine Heilung bzw. Verwirkung nicht dazu, dass der Beginn des Laufs der Frist nach § 63 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW bestimmbar wird. Denn es kann nicht zugrunde gelegt werden, dass in einem Fall wie hier die Zustellung, von welcher der Fristenlauf abhängig sein soll, durch eine Heilung bzw. Verwirkung ersetzt werden könnte: Damit würde einer Heilung bzw. Verwirkung eine materiell-rechtliche, den Inhalt eines Verwaltungsakts verändernde Bedeutung beigemessen, die ihrem Charakter als generellen Rechtsgrundsatz widersprechen würde.

Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 12.1.1993 - 20 B 3082/92 -, NWVBl 1994, 32.

Im Übrigen gilt auch insoweit das oben Gesagte; es kann nicht klar festgestellt werden, dass die Antragstellerin die Allgemeinverfügung und die in ihr enthaltene Zwangsmittelandrohung konkret zur Kenntnis genommen hat.

Ob sich die Aufnahme einer Zwangsmittelandrohung in eine Allgemeinverfügung auch aus materiell-rechtlichen Gründen verbietet, weil eine Zwangsmittelandrohung nach Art und Umfang des Zwangsmittels die individuellen Verhältnisse des jeweiligen Falles und des Betroffenen berücksichtigen muss und dies bei einer Allgemeinverfügung naturgemäß nicht geschehen kann, braucht angesichts der vorliegenden verfahrensrechtlichen Fehler, nicht entschieden zu werden.



Ende der Entscheidung

Zurück